Von St. Dyé nach Blois

Von Orléans nach St. Dyé

Sonntag, 07. Mai 2017

St. Dyé – Blois

Irgendwie hatten wir uns das dann doch gemütlicher vorgestellt auf dem Hausboot, aber die nächtlichen Geräusche ließen uns kaum ein Auge zu machen. Die laute Autostraße im Ort, ein Rockkonzert in der Ferne, welches manchmal näher zu kommen schien, dazu noch zweimal ein Feuerwerk und das unheimliche Plätschern des Loirewassers an der Bootswand. Es ist irgendwie wie Zelten auf dem Wasser.
Sobald es hell geworden ist, gehe ich zur Bäckerei, denn wir haben vom Sailor einen Gutschein für ein Baguette und vier Croissants bekommen. In der Bootsküche stehen noch winzig kleine Marmeladengläser und in einem Kühlbehälter ist Butter. Zusammen mit unserem Käse macht das ein anständiges Frühstück, welches wir unter wolkenverhangenem Himmel einnehmen, aber wenigstens regnet es nicht. Auf dem Platz vor der Kirche wird schon fleißig der Kunsthandwerksmarkt aufgebaut und zwischendurch gelangen Chorgesänge aus dem Inneren der Kirche bis zu uns ans Ufer.

Wir packen unsere Sachen zusammen und übergeben dem Sailor den Bootsschlüssel. Vor der Kirche ist der Kunsthandwerksmarkt jetzt in vollen Gange und ein großer bunter Drache aus Pappe steht davor, aus seinem Hinterteil kommt laute Volksmusik. Papa ist etwas ungeduldig und will nach Chambord, Mama filmt jedoch ausgiebig den Drachen. Wir radeln dann wieder den gleichen Weg zum Schloss wie am Tag zuvor, aber diesmal nehmen wir eine andere Strecke durch den Schlosspark und kommen durch den Wald und über angrenzende Felder im weiten Bogen zum Parkplatz neben den Souvenirshops.

Nachdem wir die Fahrräder abgestellt haben, stellen wir uns an die lange Schlange am Ticketstand an. Zum Glück gibt es WLAN, das verkürzt uns die Wartezeit, denn auf dem Hausboot hatten wir natürlich keines. Papa hat eine Nachricht von der Werkstatt bekommen, dass der Schaden gefunden wurde und für ca. 180 Euro repariert werden kann. Er mailt zurück, dass sie die Reparatur durchführen können und wir betreten endlich Schloss Chambord.

Neben der schieren Größe beeindruckt es durch seine architektonischen Besonderheiten. In der Mitte des Schlosses befindet sich eine große Wendeltreppe mit zwei Aufgängen, die sich umeinander winden, aber nie begegnen. Durch kleine Fenster können sich die Leute auf den beiden Treppen sehen. Wir steigen das Ungetüm bis zur Dachterrasse hinauf und bewundern die Aussicht über den Park und die angrenzende Landschaft. Hier hat man auch einen sehr guten Blick auf die tausend Türmchen und Details auf dem Dach. Wir umrunden einmal das Dach, machen Fotos von jedem Winkel und durchwandeln dann das 2. Obergeschoss. Hier sind nicht viele Möbel, dafür aber interessante Deckenkassetten, in denen ein Salamander, das Wappentier von Francois I. zu sehen ist. In einer Galerie hängen sehr viele Geweihe. Im 1. Obergeschoss gibt es dann noch etwas mehr Informationen über die 44 Bewohner des Schlosses, allen voran dem Grafen von Chambord, der hier eine große Kunstsammlung aufbaute und das Schloss ab 1821 der Öffentlichkeit zugänglich machte, obwohl er die meiste Zeit im österreichischen Exil lebte. In der Kapelle würden während des 2. Weltkriegs bedeutende Kunstwerke, u.a. die Mona Lisa, versteckt. Die Schlafgemächer bestechen durch ihre totschicken Tapeten. Im Erdgeschoss ist noch der Jagdsaal und die Küche recht sehenswert. Im ersteren gibt es eine ausgestopfte Fuchsfamilie, die gerade einen Vogel zerrupft, in letzterem sind Pizzaschneider und Waffeleisen zu bewundern.

Die Sonne kommt raus und wir setzten uns zum Verschnaufen in den Park, denn das Gewusel in dem großen Schloss schlaucht. Wir haben nun fast alles gesehen und schlendern wieder Richtung Fahrräder, aber nicht bevor wir im Gift Shop noch einige Kleinigkeiten gekauft haben, u.a. ein Kartenspiel mit den franz. Königen.

Château de Chambord

Unser nächstes Ziel ist Blois, nach kurzer Orientierung finden wir auch den ausgeschilderten Weg dorthin. Es geht zunächst durch ruhigen Wald und dann größtenteils über windige Felder. Die Sonne scheint von oben auf uns hinab, aber um uns herum formatieren sich düstere Wolken zum Angriff. Ich könnte schwören, dass wir bald wieder im Regen fahren müssen, aber dazu wird es nicht kommen. Die Sonne muss sich schließlich hinter die Wolken verziehen und der Wind wird noch kräftiger, aber wir bleiben weitestgehend trocken. Meist geht es an der Peripherie von kleinen Orten entlang, dann wieder in die Natur, usw. Das letzte Ende fahren wir parallel zur A? und landen schließlich wieder am Ufer der Loire mit Aussicht auf das interessante Blois, was wir gleich für ein Rastpause nutzen. Die Stadt zieht sich lang am Loireufer, an den Rändern dominieren Neubauten, aber eine wunderschöne Brücke führt direkt zur Altstadt mit engen steilen Gassen.

Wir staunen nicht schlecht, als wie sehen, dass Weimar die Partnerstadt von Blois ist. Neben der Brücke liegt genau so ein Hausboot im Wasser, wie jenes in St. Dyé und man könnte meinen, es ist uns gefolgt. Als wir die Brücke überqueren sehen wir am Ende der Straße eine blaue Mauer, nur dass darauf Menschen stehen. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich als Treppe mit Wolkenmuster – eine verrückte optische Illusion. Da wir unsere Fahrräder schlecht darauf tragen können, biegen wir kurz davor rechts ab und schieben sie mühsam eine sehr steile Gasse rauf. Ich bekomme zwischendurch etwas Panik, weil ich mein Handy nicht finde, das Fahrrad fällt auf der steilen Straße um und als ich dann endlich irgendwann oben ankomme, bin ich nur noch genervt und kaputt. Dabei finden wir uns auf dem Platz vor der schönen Kathedrale St. Louis wieder. Ich diskutiere eine Weile mit Papa in welche Richtung wir als nächstes müssen, wir sind etwas desorientiert von dem schwierigen Aufstieg und generell erschöpft von der Tour. Nach Konsultation aller uns zur Verfügung stehendes Kartenmaterial gehen wir nach links und finden schließlich unseren Turm… allerdings müssen wir noch eine Treppe bezwingen um dorthin zu gelangen.

Wir lassen uns auf die Bank vor dem Turm plumpsen und verschnaufen ersteinmal. Es ist ca. 16:30 Uhr. So ganz sicher sind wir uns noch nicht mit dem Turm, er wirkt etwas bedrohlich. Es gibt zwei verrammelte Türen und die beiden kleinen Fenster, die wir auf den ersten Blick weiter oben sehen, sind sehr notdürftig mit Paletten und Draht verschlossen. Andererseits preist ein Schild auch diese einmalige Unterkunft an und offenbart schon etwas von der Geschichte. Im 12. Jahrhundert als Wehrturm errichtet, wurde es später in die Stadtmauer eingegliedert und ab dem 14. Jhrd. als Gefängnis genutzt. Im 2. Weltkrieg harrte hier der letzte Gefangene aus, danach gelangte es in privaten Besitz.
Der Turm hat also schon eine aufregende Geschichte hinter sich.

Als es 17 Uhr ist, kommt eine kleine Frau mit Korb vorbei und betritt stumm den Turm. Wir sind uns nicht ganz sicher ob sie Bewohnerin oder Besitzerin ist und warten noch ein Weilchen. Zwischendurch kommt ein Mann vorbei und fragt uns noch, ob wir eine Unterkunft brauchen. Da es auf der Reservierungsbestätigung hieß, dass der Check-In zwischen 17 und 18 Uhr erfolgt, klopfen wir vorsichtig an die massive Holztür. Die zierliche Frau kommt schließlich raus und wundert sich etwas, dass wir schon da sind, denn eigentlich ist der Check-In erst für 18 Uhr geplant. Sie verspricht uns aber, sich mit den Vorbereitungen zu beeilen und 10 Min. später dürfen wir endlich unsere neue Unterkunft betreten.

Wir wissen nicht genau, was wir erwartet haben, aber es war sicher nicht diese Mischung aus mittelalterlichen Kerkern und moderner Inneneinrichtung. Wir betreten einen Gang mit 6 schweren Holztüren, die Jahrhunderte haben ihre Spuren in Form von tiefen Einkerbungen hinterlassen, die Metallbeschläge sind rostig und grob. An jeder Tür ist ein Schiebefensterchen, wie es sich für ein Gefängnis gehört, komischerweise werden sie von innen geöffnet. Der erste Raum wird vollständig von einem Doppelbett ausgefüllt, man kann gerade noch so drumherum gehen, aber viel Platz ist es nicht, vielleicht 3x3m. Dem gegenüber befindet sich das erstaunlich moderne Bad. Etwas erhöht stehen sich Toilette und Dusche gegenüber, was im Nachhinein etwas ungünstig ist, weil nach dem Duschen immer der Bereich vor der Toilette nass ist. Wir wundern uns etwas, dass es sich um ein Plumpsklo handelt, aber der Schein trügt. In der Holzverkleidung versteckt sich eine ganz normale Spülung.

Neben dem Bad dann die Küche, ebenfalls modern mit allen Bequemlichkeiten des modernen Lebens eingerichtet: Mikrowelle, Toaster, Kaffeemaschine, Kühlschrank, Spüle, ein gemütlicher Esstisch. Schließlich neben der Küche das zweite Schlafzimmer mit zwei Einzelbetten, welche ebenfalls den gesamten Raum einnehmen. Die Wände sind etwa 50cm dick und die Außenwände noch etwas mehr. In jedem Zimmer eine breite Fensternische mit relativ neuzeitlichen Fensterrahmen und zusätzlichen Metallverschlägen statt Gardinen. Ebenfalls überall vorhanden ist Elektrizität – der Stimmung wegen wurden die Wandlampen hinter schaurigen Ketten versteckt, ansonsten gibt es auch Stehlampen.

Bevor wir die Zimmer zu sehen bekommen, sollen wir aber zunächst unsere Fahrräder in eines davon abstellen. Es ist ein einfacher Raum mit einer Couch und einer Holztruhe. Von dort geht eine weitere Tür ab, durch die uns die Gastwirtin etwas umständlich leitet (die Fahrräder und die Truhe versperren den Weg). Wir gelangen in einen Vorraum mit Treppe – die zweite Außentür führt also hierhin. Hier bietet sich ein ganz anderer Anblick als zuvor. Es sieht alles sehr baufällig und unfertig aus. Keine Lampen – nur das Licht was durch die Glastür dringt -, eine Art Theke und Baumaterial liegen hier staubig verstreut. Wir gehen die Steintreppe empor und es wird nicht viel besser. Im 1. OG ein großer Raum mit vereinzelten Schränken und ebenfalls viel Bauschutt, weder Fenster noch Türen gibt es hier, nur etwas Tageslicht durch ein Loch in der Wand.

Die Gastwirtin erklärt uns, dass die oberen Etagen zur Ausstellung von Kunst genutzt werden sollen. Es ist alles etwas unheimlich. Je höher wir steigen, desto mehr Taubenkacke befindet sich auf den Stufen, die Viecher scheinen sich hier wohl zu fühlen. Im 2. OG ist es noch dunkler, ein Schlagzeug ist im schwachen Licht auszumachen, aber wir können die Etage nicht betreten wegen dem ganzen Schutt im Eingang. Im Treppenhaus hängen allerlei lose Kabel herab, die Wände sind teils arg löchrig. Es geht noch etwas weiter hinauf und es wir noch etwas dunkler. Die oberste Etage ist wieder ein einziger Raum, aber diesmal mit weniger Bauschutt, dafür ein großer runder Tisch und ein großer Schrank, daneben viele Plasteklappstühle. Sanftes Tageslicht dringt durch ein Loch in der Decke zu dem ein Holztreppegestell führt. Dieses besteigen wir auch noch – insgesamt hat der Turm übrigens 115 Stufen – und finden uns auf dem schönsten Aussichtspunkt der Stadt wieder. Weit über die Dächer der Stadt kann man hier blicken, wir sehen die Loire und die Wälder dahinter. Die Kathedrale und das Schloss fallen uns sofort auf. Von der blauen Treppe aus verläuft eine Straße schnurgerade bis zum Horizont. Wir sind absolut überwältigt von diesem Ausblick, der den etwas schwierigen Aufstieg absolut rechtfertigt. Und es kommt noch besser: wir können hier ganz bequem am nächsten Morgen frühstücken, mit der Stadt zu unseren Füßen. Der gesamte Turm wird eine Nacht lang uns gehören.

Mit einer Mischung aus Euphorie, Erleichterung, aber auch etwas Grusel steigen wir wieder in unsere Gemächer hinab. Werden wir wirklich in so einem Turm ruhig schlafen können? Oder werden uns die Seelen der Eingekerkerten heimsuchen? Auf jeden Fall bleiben die Türen offen und das Licht an… Internet gibt es übrigens nicht. Wir verabschieden uns von der liebenswürdigen Dame, nachdem sie uns noch auf das Frühstück in der Küche aufmerksam gemacht hat: frisch geschnittenes Brot und Marmelade im Kühlschrank. Jedoch gibt es noch ein Problem: das Café, in dem wir den Schlüssel abgeben sollen, hat am nächsten Morgen wegen Feiertag geschlossen, nach einigem Überlegungen zeigt sie uns eine geheime Stelle im Mauerwerk, in dem wir den Schlüssel vor der Abreise deponieren können. Ich hätte mir nur gewünscht, es wären etwas weniger Leute auf dem Platz vor dem Turm gewesen, als sie mir die ach so geheime Stelle gezeigt hatte, aber das sollte nicht meine Sorge sein.

Die Fahrradtour und die neuen Eindrücke haben uns hungrig gemacht, also gehen wir auf die Suche nach einem Supermarkt. Wir laufen hinunter zur blauen Treppe, machen viele Pictures, auch von der Statue des Denis Papin. Dann gehen Papa und ich kurz in einen Tabakladen um Bier und Briefmarken zu holen. Mama scheint zu sehr mit der Stadtbepflanzung beschäftigt zu sein und sucht uns hektisch, aber zum Glück fangen wir sie ab, als wir wieder aus dem Laden raus kommen. Wir laufen weiter durch die hübschen Gässchen der Altstadt, aber viele Geschäfte haben bereits zu. Etwas ärgern wir uns dann doch, als wir dann doch noch einen Supermarkt finden. Da wir keinen Herd im Turm habe und jetzt eh zu hungrig sind, etwas zuzubereiten suchen wir nach einem Restaurant, aber dafür scheint es wiederum noch etwas zeitig zu sein. Die meisten Franzosen scheinen erst so gegen 19:30 Uhr ans Abendbrot zu denken, aber der gemeine Deutsche braucht schon 18:30 Uhr etwa zwischen die Kiemen.

Auf dem Platz unter dem Schloss setzen wir uns zunächst vor ein Restaurant mit gepfefferten Preisen. Wir werden relativ lange ignoriert und müssen dann feststellen, dass es keinen Salat ohne Fleisch gibt, also ziehen wir etwas entnervt weiter. Mama gilt zwischendurch noch etwas Obst und Knabbereien in einem kleinen Laden. Ein Stück darüber gelegen ist eine Pizzeria mit schöner Terrasse, auf der aber aus irgendeinem Grund kein Tisch gedeckt ist, das Wetter ist eigentlich super. Also gehen wir in den etwas überheizten Innenraum und bestellen uns drei große Salate. Ich habe einen schönen bunten mit Zucchini, Tomate, Artischocken, Kapern, Croutons und gebackenen Camembert – welchen ich noch nie gemocht habe, aber der mir nun auf einmal sehr mundet. Ich schätze, wenn man irgendwo zum Camembert bekehrt wird, dann ist das in Frankreich…

Wir hauen ordentlich rein, dazu gibt’s Bier und Leitungswasser. Nachdem wir bezahlt haben, machen wir eine Verdauungsspaziergang hoch zum Schloss. Auf dem Platz vor dem Eingang ist es seltsam menschenleer. Auch hier hat man eine sehr schöne Aussicht über die Stadt. Über dem Eingang zum Schloss sitzt König Ludwig XII. auf einem Pferd, darunter ist sein Wappentier zu sehen, das Stachelschwein! Das finde ich glatt sympathisch! Leider hat das Schloss schon zu und am nächsten Tag müssen wir gleich weiter Richtung Amboise, also bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Punkt auf die Liste der Sachen zu packen, die man bei einer zukünftigen Reise besichtigen wird.

Nachdem wir dem Supermarkt noch einen Besuch abgestattet haben, gehts wieder zurück zum Turm, wo wir es uns zunächst auf der Dachterrasse gemütlich machen. Als es anfängt zu regnen verziehen wir uns wieder nach unten und sitzen am Küchentisch. Bevor wir in unserem ungewöhnlich gemütlichen Kerker schlafen gehen, steigen wir nochmals im Stockdunkel aufs Dach – die Taschenlampenfunktion des Handys ist dabei eine große Hilfe – die Lichter der Stadt spiegelten sich glitzernd in den dunklen Wässern der Loire, v.a. die Kathedrale ist sehr schön beleuchtet. Mit diesem Bild lässt es sich sehr schön einschlafen.

Übernachtung im Turmverlies:

Von Blois nach Bléré

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