Von Orléans nach St. Dyé

Orléans

Sonnabend, 06. Mai 2017

Orleans – St. Dyé

Wie befürchtet strömt es am Morgen wie aus Eimern und uns bleibt nichts anderes übrig, als erst mal im Hotel aus zu harren. Unsere Motivation, bei diesem Wetter unsere Fahrradtour zu beginnen, sinkt gegen Null. Die Wetter-App verspricht gegen 10 Uhr eine Regenpause, aber das ist den Regenwolken schnurzpiepegal, also beschließen wir schweren Herzens die allererste Etappe mit dem Zug zurück zu legen.

Nachdem wir noch ein Käffchen im Hotel genossen haben, satteln wir auf und fahren bei geringfügig schwächeren Regen die Straße ins Stadtzentrum von La-Chapelle-Saint-Mesmin und folgen den Schildern zum Gare. Dieser entpuppt sich als menschenleerer Bahnsteig.

Entmutigt stellen wir unsere Fahrräder unter eine Unterstand. Wir hatten eigentlich gehofft, dass es hier wenigstens ein beheiztes Bahnhofsgebäude gibt, aber nicht Mal ein kleines Café bietet uns Schutz vor dem Regen und eine Möglichkeit, die Stunde bis zur Abfahrt des Zuges herum zu kriegen. Meine Sachen sind durchnässt, da ich nicht so clever wie Mama war und ein Regencape übergezogen hatte.

Also harren wir in dieser seelenlosen Gegend aus, die tief hängenden Regenwolken über unseren Köpfen reichen bis zum Horizont und versprechen keine Besserung.

Komischerweise ist die Stimmung recht gut. Natürlich wäre es cleverer gewesen, mit dem Fahrrad zum Hbf von Orleans zu fahren, dort hätte man die Zeit locker herum gekriegt, aber wahrscheinlich auch einiges an Geld in den Shops gelassen. Ein paar Züge rasen durch, aber 12:30 Uhr hält dann doch noch einer und wir steigen ein, der Regen hat mittlerweile aufgehört. Zwei junge Frauen sind ebenfalls mit Fahrrädern unterwegs und wir müssen unsere Drahtesel etwas umständlich im Gang stehen lassen. Papa sucht den Zug nach einem Schaffner ab, aber findet keinen. Schließlich kommt doch noch einer vorbei und verkauft uns Fahrkarten.

Eine halbe Stunde fahren wir durch die flache Landschaft und freuen uns im trockenen beheizten Zug zu sein. In Beaugancy sehen wir den Turm von weitem und ich trauere etwas, dass uns der Jardin du Roquelin in Meung-sur-Loire mit den schönen Rosenstöcken verwehrt bleiben wird. In Mer erwartet uns wieder strömenden Regen. Hier gibt es auch tatsächlich ein Bahnhofsgebäude, aber es ist verschlossen, also verziehen wir uns in das gegenüberliegende Cafè, nachdem wir die Fahrräder am Bahnhof angeschlossen haben.

Ein kleiner Junge beäugt uns Fremde argwöhnisch während wir unseren Tee und Kaffee schlürfen. Der Regen lässt nach und wir treten die Tour Richtung St. Dyé/Chambord an. Der Weg ist gut ausgeschildert und verläuft meist über Fahrradwege. Wir überqueren die Loire bei Muides-sur-Loire. Der Regen hat mittlerweile aufgehört, der Wind macht uns zu schaffen, aber pustet uns auch trocken. Über ruhige Seitenstraßen geht es meist entspannt bis St. Dyé, die Loire sehen wir aber nur selten.

Zwei einsame Hausboote trotzen tapfer der starken Strömung am Quay von St. Dyé. Eines davon wird tatsächlich unsere Unterkunft für die nächste Nacht sein. So richtig glauben wir aber noch nicht dran, der Wind ist immer noch rau und die Wolken tief. Wir haben noch etwa 3,5 h bis zum Check-In. Über einen steilen Weg kommen wir zur ungewöhnlich großen Kirche des winzigen Ortes, ein paar mittelalterliche Fähnchen wehen zwischen den Bäumen und Schilder auf dem Weg hierher haben uns verraten, dass hier morgen ein Kunsthandwerksmarkt stattfinden wird. Ohne große Umschweife geht es 4,5km weiter nach Chambord, dem größten Schloss des Loiretals. Auf dem Weg dorthin begegnet uns plötzlich eine Meute asiatischer Fahrradtouristen, von denen uns jeder einzelne freudig beim Vorbeifahren begrüßt: Hi, Hello, Bonjour, Hello, Hello, Hi, Hello, Bonjour, usw. usf.

Der letzte Kilometer ist eine Autostraße, die direkt auf das Schloss zuführt und seine Wirkung nicht verfehlt. Tausende Türmchen stechen aus diesem wuchtigen Gemäuer hervor. Papa versucht ein Video vom sich nähernden Schloss zu machen. Über zwei Brücken führt der Weg im Halbkreis näher an das Schloss heran. Rechter Hand befinden sich Stallungen mit Restaurants und Souvenirshops. Wir schließen unsere Fahrräder an einen Bauzaun an und laufen um das Schloss herum zum dahinter liegenden Garten. Um ohne Hast alles sehen zu können, beschließen wir, den Innenbereich erst morgen Vormittag zu erkunden.

Es sind relative viele Besucher im und ums Schloss unterwegs. Wie voll muss es dann erst bei schönem Wetter sein? Feine Damen und Edelmänner galoppieren hoch zu Roß im Garten hinter dem Schloss und bieten perfektes Fotomaterial. Leider macht neumodische Absperrungen diese Kulisse etwas kaputt. In einem ummauerten Bereich stehen Kanonen und Kutschen. In einem Zelt zeigen Schaufensterpuppen das Leben von früher und im Zelt daneben sitzen zwei große Eulen und ein beeindruckender Adler vor Wandteppichen. Der Adler scheint mit der Gesamtsituation unzufrieden zu sein und macht seinem Unmut durch lautes Gekreische Luft. Die Uhus gucken einfach nur finster.

Ein Barde führt den Kindern vor, wie man Hufeisen herstellt. Wir verstehen leider kein Wort von dem was er sagt. In diesem Moment ruft mich der Herr vom Hausboot an und fragt mich in gutem Englisch, welche Bettaufteilung wir wünschen. Auf dem Weg zurück zum Anfang sehen wir noch eine Kutsche und weitere kleine Gebäude. Eine schlichte Kapelle wird von den Touristen gestürmt, auch Papa und ich sehen uns Mal um. Als ich wieder raus gehe, sehe ich noch Mama schnellen Schrittes um die Hecke biegen und laufe ihr hektisch hinterher, sie war wohl zu sehr damit beschäftigt, die hiesige Flora zu fotografieren und hat nicht gesehen, dass wir in die Kapelle gegangen sind. Ich hole sie aber noch ein und wir sacken Papa auch ein. Ehe wir wieder zu unseren Fahrrädern gehen, ein paar Stullen essen und dem Souvenirshop einen Besuch abstatten. Dieser entpuppt sich als reines Keksparadies, denn von den vielen verschiedenen Sorten, die hier zum Verkauf angeboten werden, gibt es jeweils reichlich Kostproben. So futtern wir uns fröhlich durch das Keks-Sortiment.

Auf dem gleichen Weg geht es zurück ins winzigen St. Dyé, wo Mama und Papa im einzigen Alimentari noch Verpflegung (= Käse) besorgen. Da noch etwas Zeit bis zum Check-In auf dem Boot ist, gucken wir uns noch die Kirche an, in der sehr große und ungewöhnlich hässliche Bilder von Jesus hängen. Unten an Boot wuseln gleich mehrere Leute herum und wir wissen nicht sofort, wer davon jetzt eigentlich das Boot betreut. Ein alter Mann mit Brille und ein junger Schnösel gucken sich auf dem Boot um, dazu kommt ein Mann mittleren Alters mit Glatze, der uns auf Französisch anspricht. Ich Frage ihn, ob wir miteinander telefoniert hatten, er verneint, aber zeigt uns trotzdem das Boot. Ein Doppelstockbett und ein Einzelbett sehen gemütlich aus. Es gibt kein Strom, aber Batterielampen. Auf die Dusche müssen wir leider verzichten, weil diese mit Solarenergie betrieben wurde und die Sonne sich den ganzen Tag nicht gezeigt hat. Dafür geht der Gaskocher in der Kochnische ganz wunderbar, das Wasser für das Waschbecken pumpt man mit dem Fuß aus einen Kanister.

Das Plumpsklo wird mit Sägespänen gelöscht.

Wir sind ganz begeistert von diesem Kleinod auf dem Wasser und verabschieden uns überschwänglich von unserem Sailor. Das Wetter hat sich mittlerweile auch beruhigt, es geht kaum noch Wind und am Himmel ziehen harmlose Wölkchen vorbei. Wir machen uns zum Abendbrot Ramen-Nudeln und peppen sie mit Schalotten und Erdnüssen auf. Um uns herum schwirren plötzlich viele Mauersegler über der Wasseroberfläche und versuchen die Fliegen zu fangen. Wir machen nochmal einen Spaziergang durch den kleinen Ort und entdecken interessante Gassen und paradiesische Gärten in Hinterhöfen, was wieder etwas für die nervige Schnellstraße entschädigt. Im Hinterhof der einzigen Bar des Ortes sind allerlei Sofas aufgestellt, ein Paar spielt Billiard und ein riesiger Hund beschnüffelt uns neugierig. Wir ziehen weiter und gucken uns noch den Friedhof an, diese sind hier in Frankreich mit halbhohen Mauern umgeben und meist sehr ordentlich. Wir gehen zurück zum Boot und lassen den Abend bei Trappistenbier und Wein ausklingen. Die Sonne zeigt sich an diesem trüben Tag nun doch nochmal zum Untergang.

Übernachtung auf dem Hausboot:

Werbung