Von Brüssel nach Orléans
Freitag, 05. Mai 2017
Orléans
6:30 Uhr wache ich aus einer unruhigen Nacht auf, weil mir einfällt, dass der Wecker auf meinem Handy um 7 Uhr klingeln wird. Ich ratze nochmals für 2h weg und dusche dann. Von der Autobahn vor unserem winzigen Fenster hört man erstaunlich wenig. Etwas hektisch teilen wir dann unsere Sachen auf, da wir nur einen kleinen Teil davon auf die Fahrradreise mitnehmen können. Aber was ist essentiell und was entbehrlich? Reicht eine Jacke und ein paar Schuhe? Die Geister scheiden sich und die Stimmung ist gereizt. Nach einer ganzen Weile setzen wir uns erst mal vor das Hotel in die freundliche Sonne, denn ohne Frühstück kann man keine klaren Entscheidungen treffen. Die Rezeptionistin reagiert etwas säuerlich auf unsere Bitte nach Kaffee, denn das überteuerte Frühstück hatten wir am Tag zuvor ausgeschlagen. Die Dame kann die 5 Euro nicht wechseln, also kommen am Ende zwei große Tassen Kaffee und zwei winzige Tassen heiße Schokolade bei raus. Dazu gibt es Schimmelkäse und Knäckebrot.
Wir laden die 3 Koffer ins Auto und fahren zu Norauto, der Autowerkstatt neben dem riesigen Supermarkt in dem wir am Tag zuvor einkaufen waren. Der Monsieur in der Werkstatt kann nur wenig Englisch, deshalb holt er seinen Kollegen. Der kompetente Herr namens Edouard kann erstaunlich gut Englisch, hört sich den puffenden Motor an und nimmt dann unsere Daten auf. Wir können das Auto während unserer Fahrradtour in der Werkstatt lassen. Wir können unser Glück kaum glauben, dass es so reibungslos klappt und vereinbaren mit Edouard, dass wir das Auto am nächsten Tag vorbei bringen. Dann haben wir noch etwas Zeit, unsere Sachen zu ordnen.
Mit einem Stein vom Herzen machen wir uns auf zum Fahrradverleih. Dieser liegt am anderen Ende der Stadt, also steigen wir an der 5 Minuten entfernten Haltestelle George Pompidou in den Bus Linie 2. Etwa 30 Min. hoppeln wir mit diesem durch Orléans, vorbei am modernen Hauptbahnhof, bis wir im Vorort Saint-Jean-de-Braye landen. Der Fahrradladen ist gleich auf der anderen Straßenseite, aber macht gerade Mittagspause, also müssen wir noch etwa 1,5h rum kriegen. Wir laufen runter zum Loireufer und kommen an einem merkwürdigen Straßenschild vorbei, auf dem ein Auto explodiert. Wir kommen zu einem Park am Ufer mit einem Amphitheater.
Endlich sehen wir diesen beeindruckenden Strom das erste Mal. In der Mitte befindet sich eine breite Sandbank, auf der ein Reiher nach saftigen Fröschen Ausschau hält. Einige Meter vom Ufer verläuft eine schmale Mole. Wir setzen uns auf eine Steinmauer über dem Uferweg, genießen die Aussicht und essen etwas. Das Wetter könnte nicht besser sein und die Natur ist eine willkommene Abwechslung zum Großstadttrubel der letzten Tage. Der Wind kommt aus Osten und wir hoffen inständig, dass es auch so bleiben wird, denn dann hätten wir Rückenwind beim Fahrradfahren. Etwa 50m weiter steht eine mittelalte Kirche mit einem kleinen windgeschützten Garten, in dem auch Bambus wächst. Wir setzen uns auf eine einsame Bank und ich lese etwas aus dem Reiseführer über Jean D’Arc vor. Nach einer Weile laufen wir wieder zum Ufer und betreten die Mole, auf der kaum zwei Leute nebeneinander passen. Sanft windet sie sich parallel zum Ufer. Wir sehen eine Entenfamilie mit süßen Kücken und weitere Reiher. Nach etwa 2km führt wieder eine Brücke ans Ufer, wo einige Angler ihr Glück versuchen. Nach einer kurzen Sitz- und Toilettenpause gehen wir wieder zurück, denn es ist schon 14 Uhr und wir können endlich die Fahrräder abholen.
Der Händler spricht erstaunlich gutes Englisch und präsentiert uns die modernen Drahtesel.
Mama möchte lieber ein kleineres, was auch prompt geliefert wird. Ich hätte gerne einen Fahrradkorb, aber diese können nicht gemietet werden, also entscheide ich mich nach langem Hin und Her für eine Lenkertasche. Gegen 15 Uhr können wir dann endlich die Räder ausprobieren, sie sind komfortabel und gut zu bedienen. Wir überqueren die viel befahrenen Straße vor dem Fahrradladen und gelangen wieder zu dem Park am Ufer.
Von hier aus geht es etwa 4,5km am Fluss entlang bis zur Innenstadt von Orleans. Der Weg ist meist etwas holprig, es sind viele Jogger und Fahrradfahrer unterwegs.
Wir biegen in die Altstadt ab und schieben die Räder über ansteigendes Kopfsteinpflaster.
Der Wind weht uns um die Köpfe als wir vor der majestätischen Cathedral St. Croix stehen bleiben. Hier schließen wir unsere Fahrräder an und betreten die Kirche im gotischen Stil aus dem 17. Jahrhundert. An den Bögen des Mittelschiffs hängen knallbunte Wappen und Flaggen, wahrscheinlich wegen des Jeanne D’Arc Festes oder der Wahl oder beides. Es ist sehr kühl und von draußen schallt unpassende Partymucke in den heiligen Ort. Die Jungfrau von Orleans hat ihr eigenes Vestibül, davor hockt ein Kardinal aus Marmor. Wir besprechen das weitere Vorgehen und entscheiden, das Auto heute schon zur Werkstatt zu bringen, damit wir gleich früh mit der Fahrradtour starten können.
Große Fahnen wehen über der prächtigen Rue de Jeanne D’Arc, die von der Kathedrale Richtung Westen verläuft. Im dichten Verkehr folgen wir ihr zwischen Autos und Straßenbahnstrecke entlang bis zu einem großen Platz mit einem Haus, in dem Jeanne D’Arc mal eine Woche gewohnt hat. Wir biegen nach links ab und lassen uns wieder zum Loireufer runter rollen. Auf der gut ausgebauten Uferpromenade geht es weiter zwischen Fluss und Straße nach La-Chapelle-Saint-Mesmin, vorbei an modernen Brücken. Das letzte Stück fahren wir an einer viel befahrenen Straße entlang und kurz vor dem Ziel entdecken wir einen kleinen Laden mit regionalen Produkten, in dem ich Äpfel kaufe, während Mama und Papa schon zum Hotel düsen.
Dort angekommen ordnen wir nochmals alles was wir mit auf die Fahrradtour nehmen und was im Auto bleibt. Dann fährt Papa zur Garage und gibt das Auto ab. Als er wieder kommt, gammeln wir noch etwas im Hotel rum ehe wir uns wieder auf die Drahtesel schwingen und zur Altstadt strampeln. Da wir keine Lust haben, an der krawalligen Autostraße zu fahren, versuchen wir es näher am Ufer und finden tatsächlich einen gut befahrbaren Radweg. An einigen Stellen wurden jedoch merkwürdige Barrieren montiert, die anscheinend verhindern sollen, dass man zu schnell mit dem Fahrrad fährt und womöglich noch im Fluss landet. Wir kommen an einem Spielplatz mit Sportgeräten und einem Lycée vorbei und finden uns recht schnell wieder in der Altstadt.
Die Beschilderung führt uns zum Place Matrimoi an dem wir auch endlich die Jungfrau von Orléans bewundern können. Um ihre stolze Skulptur hat sich ein Floh- und Regionalmarkt versammelt inklusive pittoreskem Karussell. Wir stellen unsere Fahrräder ab und setzen Papa auf eine Bank neben einem unberechenbaren Springbrunnen. Mama und ich gehen über den Markt und suchen dann nach einem Souvenirladen. Postkarten und Kühlschrankmagneten finden wir in einem Zeitungsladen, aber Briefmarken gibt es leider nicht. Nachdem wir nach Papa gesehen haben, suchen wir weiter nach Briefmarken und eine Flaschenöffner für die Buddel Wein.
Wir gehen die edle Rue Royal herunter bis zum Hauptbahnhof, aber finden nur Schickimicki-Boutiquen. Die Post hat natürlich schon zu und den Carrefour im Hbf betreten wir erst gar nicht, aus Angst uns dort zu verlaufen oder noch schlimmer – zu viel anderes Zeugs zu kaufen. Ergebnislos gehen wir also zurück zur Jeanne D’Arc und Papa. Wir sacken ihn ein und radeln wieder ein ganzes Stück zurück bis zu einer modernen Brücke, neben der wir uns auf einer Bank niederlassen und mit Blick auf die Loire unser Abendbrot verspeisen.
Zuhause gucken wir erst politisches Puppentheater mit Marine Le Pen, ihrem Vater und Hollande, danach eine Sondersendung über die echte Le Pen und Macron sowie lustige Homevideos.